Genossenschaftlich oder gar nicht

Es verbreiten sich beunruhigende Zahlen aus Übersee, aus Europa und aus der Schweiz. Als eine der Folgen davon, dass die Australier den Hektaraufwand für die Bewirtschaftung von Reben auf unter 100 Stunden pro Jahr senken wollten. Auf der anderen Seite des Spektrums beträgt der Arbeitsaufwand auf den Walliser Kleinst­terrassen mit Gobelet-Erziehung 1600 Stunden. Mit geradezu religiöser Hingabe an die Mechanisierung, Rationalisierung, Globalisierung und unablässige Ver­grös­serung versuchen die Winzer diesen Makel auszupolieren und zu Weinbauunter­neh­mern zu mutieren. Ihre Berufsbezeichnung ist jetzt Getränketechnologe, geadelt von Creditpoints nach Bolognasystem.
Sie sind effiziente, marktbewusste, busi­ness­geölte Manager geworden. Ihre Weine allerdings gleichen sich immer mehr, weltweit. Der vielgepriesene Indivi­dualis­mus und die daraus resultierenden Weine sind, millionenfach durch die Marktmangel gedrückt, zu langweiligen, gleichförmigen Gesöffen geworden, denen dann mit Marketingmethoden wieder das Image individueller Qualität und Einzigartigkeit eingehämmert werden muss. Zum Beispiel, indem die Flaschen immer dünner und höher werden. Bald braucht es Langholz­trans­porter, um das 50 cl-Nobelfläschchen nach Hause zu bekommen.

Je effizienter, fleissiger und in industrieller Manier Trauben produziert wurden, umso stärker stieg in den letzten Jahren die Überproduktion. Und als Folge gerieten die Traubenpreise unter Druck, weil die Weine aus Konkurrenzgründen billiger werden mussten.
In Europa wird für ein Kilo Trauben noch 20 bis 60 Cents bezahlt, sogar im "hoch­prei­sigen" Piemont kostet das kg Nebbiolo nur noch 2 Euro, im Chianti gilt das kg San­gio­vese noch 70 Cents bis 1 Euro. Noch etwas besser sieht es in der Schweiz aus. Ein Kilo Blauburgunder kostet ca. Fr. 3.50, je nach Gradation. Allerdings ist das etwa ein Viertel weniger als noch 1989 und das erst noch bei deutlich geringerem Ertrag pro m2 als vor 20 Jahren.

Doch am schlimmsten ist es in Australien: Der Gigant Constallation Wines Australia hat seit 2007 fünfhundert Trauben­produ­zenten die Abnahmeverträge gekündigt und den andern bis zu 50 % weniger für die Trauben bezahlt. Zudem will die Firma von der neuen Ernte 2010 nur noch Zweidrittel abnehmen.

Laut AGRIDEA-Erhebung 2008 hat der Schwei­zerische Durchschnittsbetrieb knapp 5 ha Reben bewirtschaftet und dafür 667 Stunden Arbeit pro Jahr und Hektare aufgewendet. Um vom Traubenertrag leben zu können, wären aber sechs oder mehr Hektaren nötig, in Europa noch weit mehr. Darum müssen auch hier immer häufiger Traubenproduzenten aussteigen. Der Erlös deckt die Kosten nicht mehr. Auch in Europa wurden schon ganze Rebparzellen nicht mehr abgeerntet, in Australien nicht Parzellen sondern Quadratkilometer.

Die Apostel der angeblich so freien Markt­wirtschaft haben für dieses Phänomen ei­nen höchst unverfänglichen Euphemismus gebildet: Strukturbereinigung. Es wird be­zeichnenderweise genau jenen die Luft abgestellt, die die meiste Arbeit leisten, dort wo nicht mit Schlips und Köfferchen gewe­delt, sondern zugepackt werden muss und dort, wo mit der unberechenbaren Natur und deren Risiken gelebt wird.
Die Frage stellt sich, wer eigentlich davon profitiert, wenn die Opfer, fast aus­schliess­lich Erzeuger von Rohstoffen vor der soge­nannten Veredelung, bereinigt, sprich wirt­schaftlich eliminiert werden. Die Antwort heisst wohl: die Kreditgeber. Denn für die mittleren Winzer, die bis anhin ihre Erzeu­gungs­kosten für die Rohstoffe durch die Vinifikation und die Vermarktung quer­sub­ven­tio­niert haben, ergibt sich nun die Mög­lichkeit, durch Übernahme der verfügbar gewordenen Rebfläche, ihren Betrieb zu vergrössern und die Kostenstruktur durch die Mengenzunahme zu optimieren. Denn je mehr Wein pro Charge vinifiziert wird, desto günstiger wird der Hektoliterpreis und umso tiefer sind die Gestehungskosten pro Flasche abgefüllten Wein.
Dazu wird aber eine Vergrösserung der Kellerkapazität nötig, leistungfähigere Pumpen und Filter, vielleicht ein Kon­zen­trator oder sogar eine Spinning cone column

und eine neue Abfüllanlage müssen her. Das Eldorado für die neusten Maschinchen und Hilfsmittel konnte erst im Januar wieder besucht werden, die AGROVINA in Martigny. Das alles braucht Kapital, sehr viel Kapital. Und wo holt man das?

Nun ist aber der Nachbar nicht auf den Kopf gefallen, und wenn doch, dann nicht der Kollege im nächsten Dorf. Er wittert ge­nau­so die Chance zur Vergrösserung, optimiert auch seinen Betrieb und schon ist der er­hoff­te Vorteil dahin, weil beide sich gegen­seitig die Preise drücken. Und wo sie es nicht selber tun, werden sie kartellrechtlich belangt oder es reicht ihnen ein Blick nach Australien, um Heulen und Zähneklappern zu erzeugen. Jede Idee zu kosten­decken­den Preisen Rohstoffe zu produzieren, wird schon im Keim erstickt. Zusätzlich zu den trüben Aussichten sind die neu gekauften Wundergeräte nicht ausgelastet, sie ver­trü­gen auch die doppelte Menge an Durchfluss.
Es beginnt ein Teufelskreis mit einem Stru­del in die Tiefe. Der vermeintliche Fortschritt verpufft wirkungslos, nur der Stress nimmt zu und die Zinslast der Investitionen verur­sacht schlaflose Nächte.

Ist gegen ein System, das nur wenige Ge­win­ner aber sehr viele Verlierer pro­du­ziert, denn kein Kraut gewachsen? Doch. Eine Genossenschaft, welche die Lasten verteilt, wo die AnteilinhaberInnen noch einen di­rek­ten Bezug zum erzeuten Produkt haben, sogar persönlich involviert und interessiert sind. Und das wichtigste sind Genossen­schaf­ter­Innen, die nicht den Gewinn, son­dern andere Werte maximieren wollen. Ihre Entschädigung ist zwar minimal, ver­gleich­bar mit Sklavenarbeitern in spanischen Pepperoniplantagen, aber Ihr Tun ist frei­willig, fördert den Stressabbau und die Kon­tem­plation.
Es sieht fast so aus als entwickelte sich die RGR zum Modell, wie auch in Zukunft noch Wein würdig produziert werden kann.
Dr. Leuconostoc Alpoeni